Die „Dajinman 88“ war auf Tintenfisch-Fang nordöstlich von Kinmen, als der Kapitän des taiwanischen Kutters seinen Notruf absetzte. Mehrere Schiffe der chinesischen Küstenwache hatten sein Boot Dienstagabend zum Halten gebracht, chinesische Beamte waren zur Inspektion an Bord gekommen. Daraufhin machten sich drei Schiffe der taiwanischen Küstenwache auf den Weg, um dem Kutter zur Hilfe zu kommen, brachen die Mission jedoch ab, nachdem ihnen weitere Schiffe der chinesischen Küstenwache den Weg abschnitten. „Da unser Boot tief in die Hoheitsgewässer der anderen Partei eingedrungen war, wurde die Verfolgung eingestellt, um eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden“, gab die taiwanische Küstenwache bekannt.

China brachte den taiwanischen Fischkutter in den Hafen in der chinesischen Hafen Weitou der Stadt Quanzhou in der Provinz Fujian. Die sechs Besatzungsmitglieder wurden festgesetzt. Nach taiwanischen Angaben befand sich der Fischkutter außerhalb der von Taiwan kontrollierten „eingeschränkten Gewässer“, die vor den taiwanischen Kinmen-Inseln liegen. Diese liegen wenige Kilometer vor dem chinesischen Festland in fischreichen Gewässern, wo sich üblicherweise zahlreiche Boote aufhalten. Derzeit gilt jedoch ein chinesisches Sommerfangverbot.  

Fischer beider Seiten und mithin die Küstenwachen beider Länder kommen hier seit langem schon in Kontakt. Dass China Boote festsetzt, war bisher jedoch sehr selten. Das hat sich geändert, seit im Februar zwei chinesische mutmaßliche Fischer bei einer Verfolgungsfahrt der taiwanischen Küstenwache ertrunken waren, die unmittelbar vor Kinmen illegal gefischt haben sollen. Diesen Vorfall nahm die Volksrepublik zum Anlass, den Status quo vor der Küste zu verändern, indem Chinas Küstenwache seitdem regelmäßig in den Gewässern unmittelbar um die Kinmen-Inseln patrouilliert.

Der Grund für die Festsetzung wirkt politisch

Die Volksrepublik erklärt Taiwan seit jeher zu ihrem Hoheitsgebiet, hatte sich bis dahin jedoch mit Aktionen um Taiwans dem chinesischen Festland vorgelagerten Inseln vergleichsweise zurückgehalten. Zuletzt habe Chinas Küstenwache 2007 ein taiwanisches Fischerboot festgesetzt, sagte ein Sprecher der taiwanischen Küstenwache am Mittwoch in Taipeh. Die jüngste Festsetzung bezeichnete er als willkürlich, da sich zum Zeitpunkt des Vorfalls am Dienstagabend rund fünfzig weitere Fischereifahrzeuge in der Nähe aufhielten. Er sagte zudem, das Boot habe sich nicht in chinesischen Gewässern befunden, als es von chinesischen Beamten geentert wurde. 

Der Grund wirkt politisch. Als Taiwans neuer Präsident Lai Ching-te von der für die Eigenständigkeit der Republik einstehenden Fortschrittspartei im Mai ins Amt eingeführt wurde, nahm die Volksbefreiungsarmee diesen Zeitpunkt zum Anlass für weitreichende Militärübungen um Taiwan. An den Manövern beteiligte sich auch die chinesische Küstenwache, die um die taiwanischen Inseln Kinmen und Matsu herum die Inspektion und das Entern taiwanischer Boote probte.

Berichten zufolge hatte die Volksrepublik schon im März zwei Taiwaner festgesetzt, deren Boot in den Gewässern vor Kinmen im Nebel vom Kurs abgekommen war. Einer der beiden Männer ist mittlerweile wieder frei, der andere befindet sich weiterhin in chinesischem Gewahrsam. Zur Zeit der Festnahme war er Soldat der taiwanischen Streitkräfte.

Todesstrafe für „eingefleischte Separatisten“

Pikant wird der Fall dadurch, dass die Behörden der Volksrepublik seit Juni ein Verhalten, das auf die Unabhängigkeit Taiwans abzielt, offiziell als kriminelle Handlung definieren. „Eingefleischten Separatisten“ drohe die Todesstrafe, gab ein Sprecher des chinesischen Ministeriums für öffentliche Sicherheit bekannt. Wer damit genau gemeint ist, bleibt unklar.

Als Reaktion darauf erhöhte die Regierung in Taipeh vergangene Woche ihre Reisewarnung für taiwanische Bürger bei Reisen nach China, Hongkong und Macao auf die zweithöchste Stufe. Von unnötigen Reisen in die Volksrepublik riet Taipeh ab. Schätzungen zufolge halten sich regelmäßig Zehntausende Taiwaner vor allem zu geschäftlichen Zwecken in der Volksrepublik auf.

Sorge herrscht laut taiwanischen Medien zudem, weil Peking bei Urteilen der chinesischen Volksgerichtshöfe gegen Taiwaner in Abwesenheit auch internationale Haftbefehle erwirken könnte. Entsprechende Auslieferungsabkommen hat die Volksrepublik mit mehreren Dutzend Ländern, darunter auch mit Urlaubsländern wie Thailand, Laos oder Vietnam. Peking könnte behaupten, dass die gesuchte taiwanische Person chinesischer Staatsbürger ist, berichtete die Nachrichtenagentur CNA.

Eine offizielle chinesische Reaktion auf das festgesetzte taiwanische Fischerboot blieb bis Mittwochmittag (Ortszeit) aus. Der Sprecher der taiwanischen Küstenwache forderte Peking auf, China sollte „den Vorfall nicht aus politischen Gründen angehen“ und die Crew und ihr Schiff umgehend freilassen.