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Anfang März sprach Monsignore Marco Salvi, Bischof von Civita Castellana, ein Machtwort. Sein Urteil über die selbsternannte „veggente“ (Seherin) Gisella Cardia ließ an Klarheit nicht zu wünschen übrig: Er hält sie für eine Scharlatanin. In einem Gutachten, das nach Konsultationen mit einem Theologen und einem Mariologen, einem Psychologen und einem Kirchenrechtler sowie weiteren „externen Fachleuten“ erstellt wurde, kommt der Bischof zu folgendem Urteil: „Constat de non supernaturalitate“.

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Das ist Lateinisch und kommt der Todesstrafe gleich beim kirchlichen Prüfungsprozess übernatürlicher Erscheinungen, namentlich der Muttergottes. Es stellt fest, dass es eben „nichts Übernatürliches“ gegeben habe, dass die Erscheinungen (Mariä) mithin bloß eingebildet oder – schlimmer noch – rundweg erfunden waren.

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Ob es mit den eingebildeten oder erfundenen Marienerscheinungen in Trevignano Romano, einem malerisch am Braccianer See gelegenen Städtchen rund 50 Kilometer nördlich von Rom, vor dem inneren Auge der Seherin Gisella Cardia nun ein Ende hat, muss sich zeigen. Bischof Salvi jedenfalls hat den Priestern seiner Diözese und überhaupt allen Geistlichen ausdrücklich verboten, am Ort der angeblichen Erscheinungen – einem mit Zäunen und Überwachungskameras gesicherten Privatgrundstück mit Seeblick am Ende einer Schotterstraße – die Sakramente zu feiern, Handlungen der Volksfrömmigkeit vorzunehmen oder sonst etwas zu tun, was die Gläubigen zu der irrigen Annahme verleiten könnte, die Kirche habe mit dem Hokuspokus etwas zu tun. An die Gläubigen ergeht der Aufruf des Bischofs, dem Grundstück, der dort aufgestellten Marienstatue und der kirchenamtlich als Betrügerin entlarvten Seherin fernzubleiben.

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Ihre Marienstatue soll blutige Tränen weinen

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Besitzer des Grundstücks sind die Eheleute Gianni und Maria Giuseppa Scarpulla, wie Gisella Cardia mit bürgerlichem Namen heißt. Die 54 Jahre alte Frau stammt aus Sizilien, musste vor Jahren ihren Keramikbetrieb in Messina schließen und wurde wegen Insolvenzbetrugs zu zwei Jahren Haft verurteilt. Sie übersiedelte in die Hauptstadtregion Latium und ist seit acht Jahren in Trevignano als Seherin und Wunderheilerin tätig. Mit einer Stiftung treibt sie Spenden ein.

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Von einer Pilgerreise zum Marienwallfahrtsort Medjugorje in Bosnien-Hercegovina hatte sie im Januar 2016 eine Marienstatue mitgebracht, die unterwegs und auch nach der Heimkehr nach Italien blutige Tränen geweint habe, wie sie berichtete. Aus Dankbarkeit ließ Gisella Cardia eine mannshohe Marienstatue auf ihrem Grundstück aufstellen, an welcher sich das Phänomen mit den Tränen – bald blutig, bald wässrig – wiederholte, wie sie versichert. Und zwar immer am 3. jeden Monats. Gläubige haben der Seherin, die es inzwischen zu nationaler Berühmtheit gebracht hat, erhebliche Summen gespendet in der Hoffnung auf wundersame Heilung ihrer selbst oder ihrer Angehörigen.

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Als der Chef des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Kardinal Víctor Fernández, am Freitag in Rom neue „Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene“ vorstellte, war auf Nachfrage der Pressevertreter auch von Trevignano und von Medjugorje die Rede. Mit Blick auf die von ihrem Ortsbischof Marco Salvi zurückgepfiffene Gisella Cardia ließ Fernández durchblicken, an deren Exkommunikation werde kein Weg vorbeiführen, sollte sie den Gehorsam verweigern und weiter behaupten, es gebe auf ihrem Grundstück übernatürliche Phänomene.

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In Sachen Medjugorje, wo die Muttergottes erstmals 1981 einer Gruppe von sechs Jugendlichen erschienen sein soll, ließ Fernández durchblicken, dass es vorerst bei folgender Einschätzung bleibe: „Non constat de supernaturalitate“. Damit werden übernatürliche Phänomene weder ausgeschlossen – wie in Trevignano – noch auch bestätigt – wie in den berühmten Marienwallfahrtsorten Lourdes in Frankreich, wo Maria erstmals 1858 erschien, oder Fátima in Portugal, wo die Erscheinungen 1917 stattfanden und fast augenblicklich von der Kirche anerkannt wurden. Viel spricht dafür, dass Medjugorje, wo sich inzwischen jährlich Millionen Marienpilger einfinden, längt „too big to fail“ geworden ist und recht bald das Siegel „Constat de supernaturalitate“, also die amtskirchliche Bestätigung übernatürlicher Phänomene erhalten wird.

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Am Ende entscheidet der Papst

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Die neuen Richtlinien ersetzen jene von 1978 und sollen den Prozess der Überprüfung und Anerkennung übernatürlicher Phänomene, der in der Vergangenheit mitunter Jahrzehnte dauern konnte, beschleunigen und vereinfachen. Einerseits sollen die zuständigen Ortsbischöfe rascher entscheiden können, welche der sechs Stufen von definitiver und provisorischer Anerkennung über bestehende Zweifel und weitere Prüfung bis zur vorläufigen und endgültigen Ablehnung sie dem Glaubensdikasterium empfehlen sollen; und ob sie den Gläubigen eine Pilgerfahrt zu dem betreffenden Erscheinungsort nahelegen, erlauben oder verbieten. Andererseits ist es am Ende wieder der Papst allein, der darüber entscheidet, ob die übernatürlichen Phänomene als echt anerkannt oder als unecht und falsch zurückgewiesen werden.

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Marienerscheinungen sind fast so alt wie die Kirche selbst. Häufungen sind zu Zeiten von Kriegen und Krisen, von Missernten und Hungersnöten, von Seuchen und Epidemien zu beobachten. Während die Muttergottes in der Frühzeit der Kirche meist Männern und zumal Klerikern erscheint, sind seit dem Mittelalter und zumal in der Neuzeit Mädchen, Hirtenkinder und Leute aus dem einfachen Volk die bevorzugten Adressaten der Erscheinungen.

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Seit dem 18. Jahrhundert werden Marienerscheinungen von der katholischen Kirche als „Privatoffenbarungen“ eingestuft: Es steht jedem Gläubigen frei, an sie zu glauben oder nicht, selbst wenn die Kirche die betreffende übernatürliche Erscheinung als gesichert zertifiziert hat. Anders verhält es sich, wenn die Kirche die Erscheinung als menschliche Erfindung zurückgewiesen hat: Dann soll der Gläubige nicht an sie glauben.

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