Bei dieser Europameisterschaft sind schon so viele und so schöne Eigentore gefallen, dass man unmöglich in jedem Fall von einem Missgeschick ausgehen kann. Ist so ein Eigentor, insbesondere ein frühes wie im Spiel der stolzen Spanier gegen den Fußballzwerg Georgien, nicht auch eine Machtdemonstration, um den Gegner gleich am Anfang zu demoralisieren? Mit der Beförderung des Balls in den eigenen Kasten signalisiert man der anderen Mannschaft doch klipp und klar: Ihr seid so schlecht, dass wir sogar noch die Tore für euch schießen müssen!

Robert Habeck wie Jude Bellingham

In der Politik jedenfalls ist solche Überheblichkeit ständig anzutreffen, gefühlt am öftesten bei den Grünen. Den Titel „Eigentor der Legislaturperiode“ verdient zweifellos das Heizungsgesetz, das Robert Habeck weltklassemäßig wie Jude Bellingham per Fallrückzieher ins Netz drosch, anders als der Engländer aber ins eigene.

Sehr schön war aber auch der Drehschuss von Annalena Baerbock, mit dem sie Putin vorführte, dass man seinen Kurs um 360 Grad ändern kann, ohne auch nur ein bisschen von ihm abzukommen. Baerbocks mitternächtlicher Kurz­streckenflug nach dem Spiel Deutschland – Schweiz war, wenn man sich den Beifall im Netz ansieht, ebenfalls ein klassisches Eigentor. Andererseits erinnerte sie damit im Kampf um die Kanzlerkandidatur erfolgreich daran, dass die Grünen entschieden gegen Kurzstrecken- und Nachtflüge (gewesen) sind, was fast völlig in Vergessenheit geraten war.

Und dann tauchte im grünen Strafraum kürzlich auch noch Katrin Göring-Eckardt auf, voll der Freude ­darüber, dass sie dort nicht nur auf weiße, sondern auch andersfarbige Mitspieler unserer Nationalmannschaft traf. Ihr Volleyschuss schlug im rechten Winkel ein wie eine Bombe, wurde dann jedoch auf ihre Bitte hin – ein Novum in der Geschichte des politischen Fußballs – nicht gezählt, weil das Tor aus einer abseitigen Position erzielt worden war. Da ging selbst dem sonst eher großzügigen ­Videoschiedsrichter Kubicki der Gaul durch.

Kevin Kühnerts Blutgrätsche

Doch nicht nur das grüne Team, auch die Furia Roja der deutschen Politik fühlt sich von der Opposition nur so schwach bedrängt, dass sie aus purer Langeweile immer wieder einmal aufs eigene Tor zuläuft oder wenigstens einen Koalitionspartner in der Dreierkette foult. Als Kevin ­Kühnert von der „Kontaktschande“ sprach, unter der die SPD leide, weil die Kollegen von den Grünen und der FDP so grottenschlecht kickten, dachte mancher Zuhörer, der dieses Wort noch nicht kannte, bestimmt zuerst an Blutschande. Tatsächlich handelte es sich aber um eine Blutgrätsche, bei der der Vorstopper Kühnert auch selbst derart auf die Fresse flog, dass es eine Weile dauerte, bis er aufstehen, sich den Mund abputzen und weiterholzen konnte.

Man beeindruckt den Gegner also nicht in jedem Fall mit einem Eigentor derartig, dass der anderen Mannschaft die Knie weich werden. Das zeigte ja auch das Ausscheiden ­Belgiens gegen Frankreich. Dem anderen Geheimfavoriten, Österreich, hätte ein frühes Eigentor aber vielleicht geholfen. Im Ringen mit den Wolfsgruß-Türken auf die Hilfe der Polen zu hoffen ist jedenfalls keine gute Idee gewesen, denn die waren ja anders als 1683 schon nicht mehr im ­Turnier.

Wer ist der Geheimfavorit: Weidel oder Chrupalla?

Apropos Geheimfavoriten: Die gibt es natürlich auch in der Politik, obwohl dort schwerer zu entscheiden ist, wer der klare Favorit sein soll und wer nur der geheime. Wie verhält sich das bei Habeck und Baerbock? Bei Weidel und Chrupalla? Bei Scholz und Pistorius? Oder gar im Falle eines magischen Dreiecks, wie es von Merz, Wüst und Söder gebildet wird? Treten die in einem Eigentor-Elfmeterschießen gegeneinander an?

Auch in dieser Frage vertrauen wir auf die unerschütterliche Zuversicht unseres Kanzlers, der sagte: „Machen Sie sich keine Sorgen. Kriegen wir alles hin.“ Woran erinnert uns das bloß? Na klar, an „Wir schaffen das.“ Die Politik, deren Motto dieser Satz war, gehört, wenn man die Folgen für Deutschland und ganz Europa bedenkt, zweifellos zu den Eigentoren des Jahrhunderts.