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Ich bin ein bisschen spät auf Aperol Spritz gekommen. Das gebe ich zu. Aber ich bin ein bisschen spät auf alles im Leben gekommen, gerade die guten Einsichten, daher ist das vielleicht okay. So bleiben mehr Dinge, die sich als neu und erfreulich herausstellen können.

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Die Geschichte beginnt so: Wir haben hier im beschaulichen Verden in Niedersachsen eine kleine Osteria, sie gehört Diana und Max und liegt direkt am Dom. Bei den Einheimischen ist sie beliebt, bei den Radfahrtouristen auch. Sobald das Wetter gut ist, beschatten diese Leute den Außenbereich wie Wespen die erste Eiscreme des Frühlings.

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Meine Mutter hat neulich gesagt, hier gebe es den besten Aperol Norddeutschlands, und das ist als Anmaßung natürlich kaum zu überbieten, weil: Wer sind wir denn? Andererseits ist meine Mutter weltgewandt, was meint: Sie könnte auch recht haben. Neben den Kuchen, die Diana selber backt, ist das Geheimnis des kleinen Ladens wohl tatsächlich der Aperol Spritz. Und natürlich gehe ich dem als guter Journalist auf den Grund, gerade dann, wenn man dafür in der Sonne Aperol Spritz trinken muss.

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Der Drink war eigentlich nie meins

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Aperol Spritz war eigentlich nie meins. Ich will jetzt nichts sehr Dummes sagen, aber wie alle damals jungen Männer meiner Generation ging ich durch Sozialisierung ebenfalls davon aus, dass Aperol Spritz und Prosecco im Allgemeinen den Östrogenspiegel heben, weshalb dann praktisch der Bartwuchs ausbleibt. Aperol war etwas, das tranken „die Mädels“. Auch hier ist eine entscheidende Einsicht spät gewonnen: Aperol Spritz schmeckt deutlich besser als beispielsweise Paderborner. Ein alter Recherchespruch lautet ja: Wenn du während einer Recherche nicht zweimal deine Meinung änderst, hast du nicht recherchiert. Und das stimmt auch wieder.

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Das Geheimnis dieses wohl – ich bin bereits beim zweiten Glas und damit eingeschränkt zurechnungsfähig – besten Aperols Europas (abgesehen von Italien) ist, dass Max Norditaliener ist (er sagt: aus einer Eisdielen-Dynastie) und Diana eben gebürtig aus MeckPomm. Während Max also eigentlich der Meinung ist, dass ein echter Aperol als Aperitif eher eine feine Note Alkohol enthält und durchaus auch mal mit Olive serviert werden darf, weiß Diana, was die Deutschen wollen. Eine Olive im Drink ist dem Deutschen eine Zumutung. Ein Gast habe ihr mal gesagt, in ihrem Aperol sei ja fast kein Alkohol drin, also hat sie es geändert. Denen kannste halt nicht mit 0,1 Aperol Spritz oder dem cl-Becherchen kommen.

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Cheers: In Deutschland darf in den Spritz gerne mehr Alkohol rein.
Cheers: In Germany, more alcohol is allowed in the spritz.dpa

Der beste Aperol des norddeutschen Einflussbereichs kommt also mit einem drei viertel Becher Prosecco – trocken, gut, aus Italien. Ein Fingerbreit Wasser und ein Fingerbreit Aperol; Eis, Orange, nachhaltiger Glasstrohhalm. Die Deutschen wollen was zu trinken haben und dabei an ihr sauer verdientes Geld denken. Diese Form, diesen Drink zu kreieren erscheint mir vergleichsweise pragmatisch.

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Im Norden sind die Geschmäcker speziell

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Für den Orignal Aperol-Likör brauchten die Gebrüder Barbieri, Luigi und Silvio noch annähernd sieben Jahre, nachdem sie das Unternehmen ihres Vaters übernommen hatten. Wobei das bei allen Gerichten der Fall ist, die du nach Deutschland exportierst: In deinem Heimatland so frisch, cool, kannste in Berlin vielleicht machen. In der Norddeutschentiefebene heißt das, lass zuerst den Salat weg, Extrafleisch bitte und vielleicht noch einen Schuss Sahne, „zum Verfeinern“.

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Der Aperol, sagt Max sinngemäß, ist ja aber eigentlich ein Aperitif, also etwas, was zum Essen einstimmen und nichts, was deinen Gleichgewichtssinn außer Kraft setzen soll. Und das ist schon richtig, aber wie manche Portionen voller Käsekuchen vernichten, während ich einen Aperol trinke, lasst mich schlussfolgern, dass das nicht nur bei Alkohol der Fall ist. Dass die richtige Menge Sahne prinzipiell auch den Zugang zu Welten ermöglicht, die sonst vielleicht halluzinogene Pilze öffnen. Diese glücklichen Sahne-Gesichter!

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Der Zweite schmeckt besser

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Hat aber jetzt auch überhaupt nichts mit Aperol Spritz zu tun. Finde, der zweite schmeckt irgendwie besser, feiner. Der Prosecco und das prickelnde Mineralwasser kratzen angenehm auf. Man könne, sagt Diana, Aperol auch mit Weißwein machen und sogar stillem Wasser, aber ich finde, obwohl ich kein endgültiger Experte bin und Aperol jetzt erst entdeckt habe, das könnte ein Sakrileg sein. Eigentlich mag ich meine Kleinstadt doch gern, jetzt, wo auch die Sonne die Tristesse der engen Straßen ein bisschen austreibt. Liegt auch am Aperol, sicherlich. Aber wie sie alle so draußen sitzen, das ist schon ein schönes Bild. Der Dom im Hintergrund hat was von Markusplatz, ohne die Kulisse natürlich, ohne die Tauben, und verliebt ist hier auch keiner mehr richtig.

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Jedenfalls nicht mehr ineinander.

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Ich überlege noch, einen dritten Aperol zu bestellen, aber ich erinnere mich an Dianas Worte; das wäre dann locker ‘ne Dreiviertelflasche Prosecco. Das machen wir heute nicht, wir gehen jetzt nach Hause! Die Sonne brennt auf der Haut, sie glimmert leicht angebrütet im Gesicht. Dafür, dass ich nie Drinks trinke und auch keinen Schnaps, war das eine gute Erfahrung. Vielleicht eine sehr gute. Sollte also irgendwann jemand mal zufällig vorbeikommen und in der Stadt sein: Die Osteria Max am Dom ist sehr, sehr gut. Hervorragende Kuchen und vielleicht bin ich auch da. Dann könnte man ins Gespräch kommen. Bei einem wunderbaren Glas Aperol Spritz. Dem besten Norddeutschland. Aber vielleicht auch dem besten…der Welt.

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