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Als die Arbeit erledigt war, als auch diese Hürde genommen und der nächste Rekord aufgestellt worden war, klang Granit Xhaka doch wieder wie jener dominante und selbstbewusste Mann, der seit Wochen für seine Anführerqualitäten gefeiert wird. „Das zeigt einmal mehr den Charakter dieser Mannschaft“, sagte der Leverkusener Chefstratege nach dem 1:1 bei West Ham United und dem Einzug des deutschen Meisters ins Halbfinale der Europa League. „Wir müssen wirklich sehr stolz auf uns sein, dafür was wir heute geleistet haben.“ Auch das Lachen war zurück in den Gesichtern, die früher am Abend noch ziemlich ratlos gewirkt hatten.

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Denn die Fußballwelt konnte während dieses Viertelfinalrückspiels eine bislang unbekannte Seite dieser zuletzt so erhabenen Leverkusener Mannschaft bestaunen. Die Werkself hatte ihr zentrales Merkmal verloren: die Spielkontrolle. Es war ein sehr fremdes Bild, die Könige des Passspiels agierten plötzlich ungenau, und „teilweise zu ängstlich“, wie Jonathan Tah sagte. „Ich habe mir Sorgen gemacht“, berichtete Trainer Xabi Alonso später, denn: „Es war hart, wir waren nicht in der Lage die freien Spieler anzuspielen.“

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„Körperliche Intensität nicht gut genug“

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Viele kleine Dinge, die im bisherigen Saisonverlauf mit dieser leichtfüßigen Selbstverständlichkeit funktionierten, klappten nicht. Ballannahmen von Florian Wirtz, die einfachen Pässe von Xhaka, die Aktionen des sonst so genialen linken Fußes von Alejandro Grimaldo, ständig passierten neue Missgeschicke.

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Odilon Kossonou wurde nach einer Serie gruseliger Fehler in der 29. Minute ausgewechselt, als die Rheinländer nach einem Treffer des Angreifers Michail Antonio (13.) bereits 1:0 zurücklagen. „Unsere körperliche Intensität in den Zweikämpfen war nicht gut genug“, gestand Alonso nach dem Spiel ein. Dafür wurde viel gefoult, insgesamt gab es zehn Gelbe Karten, die beiden Assistenztrainer Sebastián Parlilla (Leverkusen) und Billy McKinley (West Ham) sahen nach einer halben Stunde sogar Rot.

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Es lag auf der Hand, diese Halbzeit als Folge der Feierlichkeiten nach der am vergangenen Sonntag gewonnenen deutschen Meisterschaft zu betrachten, aber diese Erklärung wäre zu einfach. Bedeutender war, dass West Ham United mit einer Wucht spielte, wie sie Bayer Leverkusen in dieser Form schon sehr lange nicht entgegengeschlagen war.

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Bayer wankt gehörig

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Es gab in dieser Saison schon unterschiedliche Ansätze, um dem scheinbar unantastbaren Souverän zu begegnen: möglichst mutig und pressend. Oder sehr tief stehend und hoch konzentriert verteidigend. Auch Mischformen gab es. West Hams Trainer David Moyes hatte es nun mit maximaler Zweikampfintensität versucht und Bayer 04 gehörig ins Wanken gebracht. Aber in der zweiten Halbzeit entpuppte sich auch diese Strategie als untauglich.

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Denn der extreme Aufwand, mit dem die Engländer begannen, machte die Mannschaft müde, irgendwann geraten menschliche Körper eben an Grenzen. Bayer konnte sich befreien, und hat außerdem diesen faszinierenden Kader, der bislang für alle Probleme die passenden Lösungen bot. Edmond Tapsoba, der für den armen Kossonou kam, stabilisierte die Mannschaft, zu Beginn der zweiten Hälfte spielten dann auch Victor Boniface (für Patrik Schick) sowie Jeremie Frimpong (für Nathan Tella).

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Spätestens nach einer Stunde war Bayer Leverkusen wieder Bayer Leverkusen: kontrolliert, ballsicher, eher schlau und geschickt als aggressiv in den Zweikämpfen und bestens sortiert. „Wir haben ein paar Veränderungen vorgenommen und Charakter gezeigt“, sagte Alonso, der das Spiel am Ende als „gute Lektion für uns in Europa“ beschrieb.

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Tah will gegen Rom „Revanche“

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Kurz vor dem Abpfiff schoss Frimpong sogar noch das 1:1 (89.) und vollendete damit einen Rekord von historischem Ausmaß. Keines der bislang 44 absolvierten Saisonspiele hat die Werkself verloren, das hat noch kein Klub aus einer der fünf großen europäischen Ligen geschafft. Die alte Bestmarke hatte Juventus Turin mit 43 Partien in den Jahren 2011 und 2012 aufgestellt.

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Diese Geschichte interessierte die Leverkusener aber nur am Rande, wichtiger ist ihnen der Blick nach vorne, wo nun genau wie im Europa-League-Halbfinale der vergangenen Saison die AS Rom wartet. Das Hinspiel in Rom steigt am 2. Mai (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Europa League und bei RTL), eine Woche später kommt die Roma dann an den Rhein.

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Im vergangenen Jahr scheiterte das Team an einem italienischen Abwehrriegel, den der damalige römische Trainer José Mourinho konstruiert hatte, Tah sprach deshalb von einer „Revanche“, während Alonso sagte: „Die Erfahrung des letzten Jahres wird uns in diesem Halbfinale helfen. Vielleicht sind wir jetzt besser vorbereitet“, zumal sein Team nun wisse: „Man muss schwere Phasen überstehen.“ Seit dem Mittwochabend ist klar: Auch diese Fähigkeit haben die erstaunlichen Alleskönner vom Rhein.

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