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Am Ende des „wahrscheinlich umfassendsten Ermittlungsverfahrens, das die Staatsanwaltschaft Koblenz je geführt hat“, steht keine Anklage. Weit mehr als eine Stunde erklärte Mario Mannweiler, der die Koblenzer Staatsanwaltschaft leitet, warum die Flut im Ahrtal keinen Prozess nach sich ziehen wird.

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Seine Behörde hatte die Ermittlungen wenige Wochen nach der Katastrophe im Juli 2021 übernommen, auch das Landeskriminalamt war beteiligt – zeitweise mehr als hundert Ermittler prüften, ob der damalige Landrat des Kreises Ahrweiler Jürgen Pföhler (CDU) und ein Mitglied der Technischen Einsatzleitung strafrechtliche Schuld am Tod von 135 Menschen in der Region trügen. Beide hatten die Vorwürfe bestritten.

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Es entstand das Bild eines verantwortungslosen Politikers

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Keine moralische, keine politische und keine charakterliche Bewertung habe er am Ende vorzunehmen gehabt, sagte Mannweiler. „Das hier ist kein Fall für einfache Antworten, auch wenn das immer wieder versucht wird.“ Die Frage, eine der schwierigsten im Strafrecht überhaupt, sei gewesen, ob Pföhler und der zweite Beschuldigte sich der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen schuldig gemacht hätten – dass sie also etwas hätten tun müssen, wodurch Leben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden wären.

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Beide Beschuldigte, sagte Mannweiler bei seiner Erklärung am Donnerstag in Koblenz, seien verantwortlich für die Einsatzleitung in der Flutnacht gewesen. Ein Landrat könne zwar einzelne Aufgaben an Mitarbeiter abtreten, aber im Angesicht der „größten Naturkatastrophe, die es dort je gegeben hat, sich seines Amtes nicht vollständig entziehen“.

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Jürgen Pföhler (CDU), ehemaliger Landrat des Kreises Ahrweiler, nimmt als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Landtags Rheinland-Pfalz zur Flutkatastrophe Platz.
Jürgen Pföhler (CDU), former district administrator of the Ahrweiler district, takes part as a witness in the investigative committee of the Rhineland-Palatinate state parliament on the flood disaster.Picture Alliance

In den Monaten nach der Flut war das Bild eines verantwortungslosen Politikers entstanden. Im Tal erzählte man sich teils abenteuerliche Geschichten über Pföhler. Eine davon bestätigte eine Zeugin später vor dem Landtag: Danach soll der rote Porsche, für den Pföhler in seinem Heimatort bekannt war, noch in der Nacht, als viele um ihr Leben kämpften, umgeparkt worden sein, mutmaßlich um ihn vor der Flut zu retten.

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Auch eine Zeugenaussage, wonach Pföhler sein Nahumfeld dringend vor der drohenden Gefahr warnte, aber keine offizielle Evakuierung des Tals einleitete, verstärkte das negative Bild. Die Leitung der Technischen Einsatzleitung, eigentlich Kernaufgabe eines Landrates, delegierte er an einen Ehrenamtlichen, der wie die anderen Ehrenamtlichen völlig überfordert war vom Ausmaß der Katastrophe.

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Niemand habe die Flut vorhergesagt

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Oberstaatsanwalt Mannweiler erklärte dazu, für die Ermittlungen sei nicht maßgeblich, ob Pföhler in der Flutnacht in der Einsatzzentrale anwesend gewesen sei – sondern ob er Todesfälle hätte verhindern können, wenn er dort gewesen wäre. „Schier unermesslich“ sei die Zahl der möglichen Unterlassungshandlungen, die die Staatsanwälte prüften. „Die systematische Evakuierung von 30.000 bis 40.000 Menschen links und rechts der Ahr hätte wohl sämtliche Todesfälle verhindert“, sagte Mannweiler.

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Aber niemand habe die Flut in ihrer Ausprägung vorhergesagt; es sei allzu einfach im Nachhinein alles besser zu wissen. „In einer solchen Situation kann aus unserer Sicht nicht verantwortet werden, dass die Verantwortlichen, die keine Hydrologen oder Meteorologen sind, in einem Landkreis großflächige Evakuierungen anordnen.“

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Außerdem wären auch Räumungen nicht ohne Risiko gewesen. Tausende Menschen abends aus ihren Wohnungen zu rufen, wäre auch heikel gewesen. Wenn zum Beispiel Hunderte in Ahrweiler im Stau in Richtung höher gelegener Flächen gestanden hätten, als die Flutwelle eintraf, „würde man heute wegen der Räumung nach strafrechtlichen Konsequenzen rufen“, argumentiert Mannweiler.

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Aber hätten Pföhler und die Behörden nicht wenigstens die Bevölkerung warnen müssen? Vieles spreche dafür, erklärt Mannweiler, dass sie das hätten tun müssen. Auch wenn viele sich solchen Warnungen widersetzt hätten oder sie gar nicht bemerkten, weil sie zum Beispiel schon schliefen, hätten sie die Wahrscheinlichkeit für Rettungen erhöht – aber eben nicht sichergestellt. „Mit Wahrscheinlichkeiten werden in Deutschland keine Menschen verurteilt.“ Ähnliches gelte für das Szenario, dass die Behörden den Katastrophenfall ausgerufen hätten. Auch dadurch wären nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Leben gerettet worden, weil die praktischen Konsequenzen gering gewesen wären.

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Je später der Abend wurde und je höher der Pegel stieg, desto drastischere Maßnahmen wären im Ahrtal geboten gewesen – aber desto weniger sei gegen die Naturgewalt auszurichten gewesen. Die Technische Einsatzleitung habe sich fortwährend darum bemüht, Hubschrauber und andere Hilfe von außerhalb herzuleiten.

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„Die Naturkatastrophe konnte nicht verhindert werden“

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Mannweiler ließ erkennen, dass er weiß, wie sehr sich viele der Hinterbliebenen der Todesopfer und die vielen Geschädigten der Ahrflut einen Prozess gewünscht hätten. „Was geschah war eine Naturkatastrophe ungeahnten Ausmaßes, sie konnte als solche nicht verhindert oder verändert werden.“ Demzufolge seien die Menschen auch nicht „dem strafbaren Versagen eines einzigen Menschen zum Opfer gefallen“. Daher würden die Ermittlungen gegen Pföhler und den Einsatzleiter eingestellt.

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Dieselbe Argumentation gelte auch für die Frage, ob eine bessere Vorbereitung das Ausmaß der Katastrophe hätte begrenzen können. Mannweiler nannte einige Defizite, die auch schon ein Untersuchungsausschuss im rheinland-pfälzischen Landtag aufgezeigt hatte. Aber ein „außergewöhnlich komplexes Maximalgeschehen, das seinen katastrophalen Lauf nahm“, hätte das auch nicht mit Gewissheit verhindern können.

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Dass gegen Pföhler nun keine Anklage erhoben wird, ist eine Belastung für die Landespolitik. Für einige der Verantwortlichen in Mainz waren die Ermittlungen gegen Pföhler bequem. Nun wird die Frage nach der Schuld abermals aufgeworfen, die Katastrophe rückt wieder stärker in die öffentliche Wahrnehmung. Hätte die Landesregierung, die seit mehr als 30 Jahren von der SPD geführt wird, mehr unternehmen müssen? Der Untersuchungsausschuss hat seine Beweisaufnahme zwar eingestellt, doch die Arbeit am Abschlussbericht soll noch bis in den August dauern. Die abschließende politische Bewertung dürfte erst im Herbst erfolgen, lange nach dem dritten Jahrestag der Flut.