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Im Herbst 2022 war das noch anders. Die ukrainischen Streitkräfte hatten damals mit ihrer Gegenoffensive großen Erfolg. Pünktlich zur Generaldebatte der Vereinten Nationen in New York sagte Putin in einer Ansprache zur Mobilmachung von Reservisten: „Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht ist, zum Schutz Russlands und unseres Volkes, benutzen wir unbedingt alle uns zur Verfügung stehenden Mittel.“ Und: Das sei kein „Bluff“.

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Präsident Joe Biden beließ es seinerzeit in der Vollversammlung in New York dabei, von „unverhohlenen nuklearen Drohungen“ zu sprechen. Sein Außenminister Antony Blinken ergänzte kurz darauf im UN-Sicherheitsrat, jedes Mitglied des wichtigsten Gremiums der Vereinten Nationen müsse die klare Botschaft an Putin senden, dass die „unverantwortlichen nuklearen Drohungen umgehend aufhören“ müssten. Das war ein erstes Signal an China, einzugreifen.

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Mitte März dieses Jahres, vor der sogenannten Präsidentenwahl in Russland, leugnete Wladimir Putin in einem Interview, im Herbst 2022 erwogen zu haben, Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen. Offenbar mit Blick auf die seinerzeitigen militärischen Rückschläge in der „Spezialoperation“ sagte er, es habe nie die Notwendigkeit bestanden, taktische Nuklearwaffen einzusetzen.

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Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Amerikanische Geheimdienste verfügten seinerzeit, also im Herbst 2022, über andere Erkenntnisse. Als Biden und Blinken in New York Putins Drohungen zurückwiesen, hatten sie bereits ihre Verbündeten über die Gefahrenlage informiert – und auch darüber, wie Washington gegebenenfalls auf einen Einsatz von Nuklearwaffen, den ersten seit dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki 1945, reagieren würde.

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Den ukrainischen Streitkräften war damals ein Durchbruch bei Cherson gelungen. Später mussten sich die russischen Kräfte auf das Ostufer des Dnipros zurückziehen. Wochen vor der Befreiung Chersons hörten amerikanische Dienste Gespräche russischer Militärs ab, in denen der Einsatz von Atomwaffen erörtert wurde. Washington nahm die Hinweise ernst. Sie passten ins Bild: Im Oktober 2022 rief der russische Verteidigungsminister Sergej Schojgu seine Kollegen in Washington, London und Paris an und berichtete ihnen von der Sorge im Kreml, Kiew könne womöglich eine schmutzige Bombe als Provokation einsetzen, eine Waffe mit konventionellem Sprengsatz, der radioaktives Material verteilt.

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War für Putin die russische Souveränität bedroht?

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Die amerikanische Regierung, die die Anschuldigung zurückwies, glaubte, Moskau bereite so ein Täuschungsmanöver vor, ein Narrativ, das einen Einsatz von Atomwaffen durch Russland verdecken soll. In Washington schloss man nicht aus, dass eine bevorstehende Rückeroberung Chersons durch ukrainische Streitkräfte Putin tatsächlich veranlassen könnte, Atomwaffen einzusetzen. Schließ­­lich hatte er die Stadt zuvor zum Teil der Russischen Föderation erklärt. War damit also für ihn die russische Souveränität bedroht?

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Im Weißen Haus sagte John Kirby, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, der Präsident nehme die Drohungen ernst. Man beobachte die russischen nu­klearen Fähigkeiten so gut, wie es gehe. Noch habe man am Boden keine Anzeichen gesehen, die Washington veranlassen würden, seine eigene Abschreckungswirkung zu erhöhen. Die russischen Atomstreitkräfte wurden also nicht mobilisiert, sollte das heißen. Aber konnte man ausschließen, dass einzelne taktische Nuklearwaffen, kleinere, für das Gefechtsfeld bestimmte Waffen, verlegt wurden?

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Das wäre einer russischen Strategie gleichgekommen, die westliche Fachleute als „Eskalation zur Deeskalation“ bezeichnen: Um eine Niederlage im konventionellen Krieg zu vermeiden, würde Moskau auf einen beschränkten nuklearen Schlag setzen.

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Washington unterrichtete seine Verbündeten über Szenarien, die man Putin zutraute, darunter ein Einsatz einer taktischen Atomwaffe als Machtdemonstration über dem Schwarzen Meer oder gegen ukrainische Stellungen in einem entlegenen Gebiet, um den Westen zu bewegen, seine Unterstützung für Kiew aufzugeben, und die Ukraine zur Kapitulation zu zwingen.

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F.A.Z.-Grafik Swierczyna

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Der Einsatz einer taktischen Atomwaffe wäre ein Test für die Abschreckungs­dok­trin gewesen: Ein nuklearer Angriff auf die Vereinigten Staaten oder einen seiner Verbündeten wurde jahrzehntelang verhindert, weil Washington darauf mit einem nuklearen Gegenschlag geantwortet hätte. Das entsprach der Logik des Gleichgewichts des Schreckens. Was aber, wenn – wie im Falle der Ukraine – ein Land, das nicht (mehr) Atommacht und nicht durch einen nuklearen Schutzschirm abgesichert ist, angegriffen wird?

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Diese Frage beantwortete Biden seinerzeit. Seine Leute informierten die Bündnispartner über die Reaktion, auf die man sich im Nationalen Sicherheitsrat verständigt hatte, wie westliche Diplomaten seinerzeit der F.A.Z. berichteten: Washington würde zunächst mit einem konventionellen Schlag gegen russische Stellungen antworten – in der Ukraine, nicht auf russischem Territorium. Und: Die Größe des Schadens, den man dem russischen Militär zufügen würde, hinge vom Ausmaß des russischen Tabubruchs ab.

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Der konventionelle Gegenschlag, so hätte man es Moskau gegenüber sogleich klargestellt, sei kein Kriegseintritt der Vereinigten Staaten. Er sei vielmehr als Signal zu verstehen, dass man den Einsatz von Atomwaffen nicht akzeptiere. Putin hätte dann vor der Entscheidung gestanden, es bei dem einmaligen Tabubruch zu belassen oder weiter zu eskalieren. Bidens Antwort, die CIA-Direktor William Burns Mitte November – nach der Befreiung Chersons – seinem russischen Gegenüber, SWR-Chef Sergej Naryshkin, bei einem Treffen in der Türkei übermittelte, war eine Umkehrung der russischen Eskalation-zur-Deeskalation-Strategie: Der Tabubruch hätte Putin gezwungen, Farbe zu bekennen. Bidens konventioneller Gegenschlag hätte den russischen Machthaber genötigt, die Entscheidung zu treffen, ob er eine nukleare Konfrontation mit dem Westen sucht.

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Das Unsagbare: die atomare Vernichtung

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Wenige Tage nach der Generaldebatte bei den Vereinten Nationen war Biden abermals in New York. Im Haus des Geschäftsmannes James Murdoch in der Upper East Side sprach er auf einer Spendengala für die Demokraten. Was der Präsident an jenem Abend ausbreitete, fußte auf einer aktuellen nachrichtendienstlichen Unterrichtung: Putins Drohungen könnten zu einem Einsatzplan werden. Erstmals seit der Kuba-Krise gebe es die direkte Gefahr, dass Atomwaffen eingesetzt werden könnten, sagte Biden.

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Sodann: Die Möglichkeit, taktische Nuklearwaffen einfach einzusetzen, ohne mit einem Armageddon zu enden, gebe es nicht. Das war eine vage Andeutung, wozu ein Tabubruch Putins führen könnte. Öffentlich sprach Biden freilich nicht darüber, wie er reagieren würde. Er beließ es dabei, die Eskalationsgefahr zu benennen und das Unsagbare auszusprechen: die atomare Vernichtung.

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F.A.Z.-Grafik Swierczyna

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Der Präsident nutzte seinerzeit alle möglichen Kanäle nach Moskau. Bevor Burns mit Naryshkin zusammentraf, hatten Blinken, Verteidigungsminister Lloyd Austin und Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater, mit ihren Counterparts gesprochen. Doch Washington wollte auf Nummer sicher gehen: Moskau müsse verstehen, dass ein solcher Tabubruch nicht toleriert würde. Also wandte man sich an zwei Regierungen, von denen man sich erhoffte, dass sie mehr Gehör im Kreml fänden als die Vereinigten Staaten, zumal sie seit Beginn des Angriffskriegs handelspolitisch viel kompensierten, was Russland durch die westlichen Sanktionen in Amerika und Europa weggebrochen war: China und Indien.

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Anfang November, während eines Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in Peking, sagte Präsident Xi Jinping in Richtung Putin, die Staatengemeinschaft lehne gemeinsam den Einsatz von Nu­klearwaffen und die Drohung damit ab. Die Welt müsse sich dafür einsetzen, dass kein Atomkrieg geführt werden könne. Das zeigte Wirkung.

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Putin drohte danach zwar immer noch. Gelegentlich. Doch nicht mehr ganz so schrill wie im Herbst 2022. Und offenbar sehen westliche Nachrichtendienste derzeit keine neuerlichen Anzeichen dafür, dass aus den Drohungen bald Einsatzpläne werden könnten. Die Gefahr war am größten, als die Ukraine militärisch am erfolgreichsten war. Nimmt die Gefahr wieder zu, sollte Putin doch noch einmal in die Enge getrieben werden?

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Ambitionen, die über die Ukraine hinausgingen

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Es gibt inzwischen eine neue potentielle Gefahr. Im Februar schlug Mike Turner, der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Alarm: Auf der Plattform X verbreitete er, sein Ausschuss verfüge über Erkenntnisse, die eine „ernste Gefahr für die nationale Sicherheit“ darstellten. Er forderte das Weiße Haus auf, die streng geheimen Informationen freizugeben. Später wurde bekannt, dass Moskau planen könnte, ein nukleares Waffensystem im Weltraum zu installieren und so womöglich Satelliten ins Visier zu nehmen. Noch hat Russland den Schritt nicht vollzogen, wohl aber die Installation ohne Sprengköpfe getestet, wobei westlichen Geheimdiensten nicht klar ist, ob dies wirklich eine Vorbereitung war oder nur eine Drohung.

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Amerikanische Nachrichtendienste haben noch keinen Konsens darüber erzielt, was der Kreml vorhat. Es gibt die Einschätzung, dass ein Atomschlag im All wie eine elektromagnetische Pulsbombe (EMP-Bombe) kommerzielle und staatliche Satelliten zerstören könnte. Abgesehen davon, dass schon die Zerstörung kommerzieller Satelliten enormen Schaden anrichten könnte, fürchten westliche Geheimdienste, dass Russland so nicht nur die Spionagefähigkeiten der Vereinigten Staaten, sondern auch die Steuerung ganzer Waffensysteme zerstören könnte.

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Ein westlicher Diplomat sagte der F.A.Z., die Erkenntnisse seien „sehr besorgniserregend“, da ein nukleares Weltraumprogramm einen „game changer“ darstelle. Gemeint ist: Wenn Moskau in der Lage wäre, amerikanische Waffensysteme lahmzulegen, wäre die Zweitschlagsfähigkeit Washingtons gefährdet: also der Einsatz von Waffen, die einen nuklearen Angriff Russlands überstehen würden.

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Das russische Programm wäre ein Verstoß gegen den Weltraumvertrag von 1967, der die Aufrüstung des Alls untersagt. Washington hat offenbar schon versucht, auf Moskau einzuwirken, die Pläne zu begraben. Mit einem solchen Programm verbinden sich Ambitionen, die über die Ukraine hinausgingen. Es wäre nach Einschätzung des westlichen Diplomaten eine „ganz andere Eskalation“. Womöglich ein Zeichen dafür, dass Putin mehr wolle. Eine Installation sei binnen Monaten möglich. Ein günstiger Zeitpunkt wäre etwa die Phase nach der Wahl in den USA Anfang November, wenn Washington sich womöglich selbst lähmt.

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